Im Begleitprogramm der Ausstellung „AUF DEN ZWEITEN BLICK. Streifzüge durch die Sammlungen der Universität Stuttgart“ fand am 18. Mai 2022 eine Podiumsdiskussion über Potenziale und Perspektiven der Sammlungen an der Universität Stuttgart statt. Prof. Dr. Christian Bonten (Leiter des Instituts für Kunststofftechnik), Prof. Dr. Klaus Jan Philipp (Leiter des Instituts für Architekturgeschichte), Dr. Christiane Rambach (Universitätsbibliothek) und Prof. Dr. Robert Schulz (Leiter des Instituts für Fördertechnik und Logistik) sprachen unter der Moderation von PD Dr. Beate Ceranski (Abteilung für Geschichte der Naturwissenschaften und Technik, Hist. Institut) über die Bedeutung und Nutzung der Sammlungen für Lehre, Forschung und Repräsentation.
Christian Bonten brachte als Demonstrationsobjekt ein Werkstück voller absichtlicher Fehler mit, das in der Lehre das Konstruieren mit Kunststoff vermitteln hilft. Als zweites Objekt zeigte er ein kultur- und konsumgeschichtlich spannendes elfenbeinfarbenes Telefon der 1950er Jahre. Ehrenamtlich am Deutschen Kunststoffmuseum engagiert, steht Christian Bonten für zwei komplementäre und gleichermaßen wichtige Aspekte des Sammelns: die ständig ergänzte Lehrsammlung aus selbst zusammengetragenen und professionell hergestellten Objekten tritt an die Seite der auf dauerhafte Sicherung historisch gewordener Objekte bedachten musealisierten Sammlung – eine an vielen Instituten anzutreffende Doppelgesichtigkeit des universitären Sammelns.
Robert Schulz zeigte als Demonstrationsobjekt ein Drahtseil einer Seilbahn mit, das eine Schädigung des Seils, verursacht durch einen Blitzeinschlag, erkennen lässt. Aus der Forschungs- und Gutachtertätigkeit des Instituts erwachsen, wird das Objekt in einem für Universitätssammlungen typischen Funktionswandel heute in der Lehre eingesetzt. Über die in Deutschland einzigartige Seilsammlung hinaus birgt das Institut Prototypen automatisierter Logistikfahrzeuge, die im Rückblick in der Genealogie des autonomen Fahrens von Bedeutung sind. Indem er Objekte aus der Entwicklung einer emergenten Technologie als solche wahrnimmt und aufbewahrt, so wurde im Gespräch deutlich, sichert er als Archivar seines Faches den zukünftigen Zugang zu den Sachzeugen bedeutender technischer Innovationen.
Klaus Jan Philipp brachte mehrere kleine wertvolle Zeichnungen des bekannten Stuttgarter Architekten C. F. von Leins als Kostproben mit. Die Architekturzeichnungen sind eine von mehreren Sammlungen, die das Institut für Architekturgeschichte als ein von jeher sammelndes und mit Sammlungen lehrendes und forschendes Institut beherbergt. Aber auch bei großer fachlicher Bedeutung und Nutzung in Lehre, Forschung und Exponatverleih, so machte der Architekturhistoriker deutlich, haben die Sammlungen einen latent prekären Status, da die Ressourcen zu ihrer Aufbewahrung und Betreuung stets neu gesichert werden müssen, etwa bei einem Wechsel in der Professur und Institutsleitung.
Christiane Rambach hatte einen ausgemusterten Karteikasten dabei, an dem sie die Bedeutung standardisierter Erfassung von Objekten – als Metadatenmanagement heute in aller Munde – veranschaulichte. Spezialisiert auf der Erfassung und Verwaltung von Daten und Metadaten, könnte die Universitätsbibliothek perspektivisch als Kompetenzzentrum die sammlungsbetreuenden Personen und sammlungshaltenden Institute unterstützen und deren Prozesse begleiten. Eine wichtige Rolle könnte dabei ein bibliotheken- und hochschulartenübergreifendes zentrales Gebäude für die Wissenschaft (Campus-HUB) spielen, dessen Konzeptstudie vom MWK 2019-21 gefördert wurde. Auch eine bis dahin erstmalige (noch nicht vollständige) Groberfassung von Sammlungen an der Universität Stuttgart geschah im Rahmen dieses Projekts. Als zentraler akademischer Lernort der Stadtmitte könnte das C-HUB nicht zuletzt auch (ausgewählten) Objekten einen Ort geben.
Im zweiten Teil brachten sich auch die Anwesenden des Plenums mit Fragen und Beiträgen ein. Neben spannenden Reflexionen zum Selbstverständnis der Sammlungen bzw. Sammlungsverantwortlichen ging es dabei auch um Ideen und Vorschläge, wie das reiche Potenzial der Sammlungen noch stärker als bislang genutzt werden könnte. Ein Universitätsmuseum als zentraler Ort wäre der Königsweg und der wissenschaftlichen Bedeutung Stuttgarts überaus angemessen, so warben gleich mehrere Redner. Aber auch auf einer kleineren Skala machen die Sammlungen spannende neue Projekte möglich, wenn die Fächer sich vernetzen. Die Einladung zu dem im Juni stattfindenden Reenactment – an der Zuse-Originalmaschine! – der in Stuttgart entwickelten stochastischen Poesie bildete darum einen passenden Abschluss dieses perspektivreichen und kurzweiligen Abends.
Beate Ceranski